Wenn der Wunsch nach Nähe zur Distanz wird!
Wenn es um Beziehungen geht, haben wir Menschen, als soziale Wesen, zwei Grundbedürfnisse: das Bedürfnis nach Nähe zu uns selbst sowie das Bedürfnis nach Liebe und Bindung zu anderen. Das klingt erstmal einfach. Kompliziert wird es jedoch, wenn die Beziehungspartner ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe und Distanz haben, und womöglich ein Partner das starke Bedürfnis nach Kontrolle über den anderen hat. In beiden Fällen spricht man von einem Nähe-Distanz-Problem.
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Bindung innerhalb von menschlichen Beziehungen ist einem stetigen Wandel ausgesetzt. Verschiedene Faktoren können das Bedürfnis nach Nähe und Distanz beeinflussen. Diverse Stressfaktoren können die Dynamik in dem Nähe – Distanz Verhältnis in eine positive, aber auch in eine negative Richtung beeinflussen. Manche Menschen suchen die Nähe, wenn es stressig wird, andere gehen in solchen Phasen auf Distanz. Die Waage immer ausgeglichen zu halten, ist schwierig. Besonders herausfordernd ist es, wenn beide Partner von Grund auf unterschiedliche Bedürfnisse diesbezüglich haben. Das sollte unbedingt zu Beginn einer Beziehung kommuniziert werden. Aber woher kommt unser Bedürfnis nach Nähe oder Distanz und wie gehen wir richtig damit um?
Zurück in die Kindheit
Unsere Kindheit zieht sich wie ein roter Faden durch unser Leben. Logisch! In allen Bereichen spiegeln sich Erfahrungen aus unserer frühsten Lebenszeit wieder. Das kann sowohl positiv als auch negativ sein. Nahezu jedes Kind hat erlebt, dass das eine oder andere Bedürfnis defizitär oder gar nicht erfüllt wurde. Nicht alles wird zum Problem. Die Bindungserfahrung allerdings kann sehr wohl zu einem Problem werden.
Wenn z.B. der Wunsch nach Nähe missachtet wird, kann das Gefühl von Verlassenheit und Einsamkeit entstehen. Wenn der Wunsch nach Distanz missachtet wird, kann das Gefühl von Vereinnahmung und Kontrolle entstehen. Diese Erfahrungen münden in Ängste und manchmal sogar in Persönlichkeitsstörungen, die uns lebenslang – meist unterbewusst – begleiten. Hatten wir in der Kindheit oft das Gefühl, verlassen zu sein, dann werden wir in Liebesbeziehungen eher zur klammernden Person. Andersherum suchen Menschen, die als Kind stark vereinnahmt und bevormundet wurden, mehr Freiraum in Liebesangelegenheiten. Das ist eine häufige Beobachtung, gilt aber nicht für jeden Einzelnen. Natürlich müssen individuelle Faktoren betrachtet werden und so kann es sein, dass ein Mensch, der nie Nähe oder engere Bindung erfahren hat, diese auch in der Beziehung nicht zulassen kann und möchte. Also nicht jeder entwickelt aus dieser Kindheitserfahrung ein Nähebedürfnis. Auch vorausgegangene Partnerschaften haben Einfluss auf unser Nähe-Distanz-Verhalten in neuen Beziehungen. Wurden wir in einer vergangenen Beziehung stark eingeengt, suchen wir in neuen Liebesbeziehungen nach Freiraum. Hat man uns betrogen oder belogen, ist die Angst vor Verlust größer – wir sehnen uns deshalb nach Nähe. Alle unsere Erfahrungen sind in unserem Emotionsgedächtnis gespeichert und haben Einfluss auf unser Bindungsverhalten und werden durch andere Faktoren weiter beeinflusst.
Wenn einer die Kontrolle hat
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Ich möchte einen kurzen Absatz zum Thema Kontrolle einfügen. Denn das Gefühl Kontrolle haben zu wollen über den anderen kann das Nähe-Distanz-Verhalten empfindlich beeinflussen und dabei selten zum Positiven. Ist also zu Beginn der Beziehung das Verhältnis in einem gesunden Maße vorhanden, kann ein Kontrollzwang / -wahn dieses aus dem Gleichgewicht bringen. Ist das Nähe-Distanz-Verhalten schon leicht unausgeglichen und einer versucht sich etwas mehr Distanz zu schaffen, was hier erstmal positiv zu bewerten ist, kann das zu sehr viel mehr Distanz führen als gewünscht ist. Versucht einer der beiden mehr Nähe zuzulassen und wird dabei torpediert durch Kontrolle und Bewertung, kann das ebenfalls die Distanzaffinität erhöhen. Also die Kontrolle haben zu wollen oder behalten zu wollen, führt in den seltensten Fällen zu einer positiven Veränderung in der Beziehung!
Gehört Distanz in eine Beziehung?
Unbedingt! Dass wir in einer Beziehung mit unserem Partner oder unserer Partnerin eine Symbiose eingehen müssen, ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Natürlich ist es wichtig, sich zu beflügeln, zu ergänzen, miteinander Großes zu schaffen. Und ja, es dürfen und “sollen“ gemeinsame Hobbys und Freunde gefunden werden. Eine Partnerschaft besteht aber nicht ausschließlich aus physischer und psychischer Nähe. Auch wenn wir eine Liebesbeziehung eingehen, bleiben wir ein Individuum. Ein autonom lebendes Wesen mit “eigenen“ Kontakten, Hobbys, Meinungen und Gedanken. Mit psychischer Nähe geht immer auch die psychische Distanz einher. So stellen wir unsere persönliche Weiterentwicklung und Verwirklichung sicher. Denn das ist doch die wahre Magie der Liebe: Dass wir individuelle Menschen sind, aber trotzdem ein gemeinsames Leben führen können. Am Ende ist es die Distanz, die Nähe schafft!
Die Lösung für das Problem
Es gibt nicht die eine Lösung! Die Ansatzpunkte sind vielfältig und sind stark von den jeweiligen Charakteren abhängig. Das Allerwichtigste ist, sich keine Vorwürfe zu machen. Schuldzuweisungen sind bei diesem Thema unangebracht. Jeder handelt aufgrund seines unsichtbaren Rucksacks auf dem Rücken.
ACHTUNG!! Die Beziehung / Ehe retten zu wollen, ist für die meisten das Ziel. Es ist richtig und wichtig, nicht gleich aufzugeben, wenn es mal hakt. Ganz im Gegenteil: Es zeugt von Mut und Reflektion, sich Problemen zu stellen. Doch manchmal müssen wir einsehen, dass es uns nur noch unglücklicher macht, an einer Beziehung festzuhalten. Die wahre Liebe muss nicht für immer sein, und Trennungen sind kein Zeichen von Versagen. Loslassen ist schwer und ruft Liebeskummer hervor. Wir fühlen uns schuldig! Aber Loslassen macht auch Platz für Neues – für beide!
4 To Dos, um das Nähe-Distanz-Verhältnis zu verbessern
- keine Vorwürfe, sondern offene, respektvolle Kommunikation über die eigenen Gefühle und Ängste
- reflektiere dich selbst. Woher kommen Ängste, wie kannst du deine Bedürfnisse selbst befriedigen, sodass du nicht in die emotionale Abhängigkeit gerätst
- entwickelt gemeinsam Routinen in Form von Aktivitäten und Hobbys, um Berührungsängste abzubauen und festzustellen, dass (Ver-)Bindung etwas schönes sein kann
- nehmt euch externe Hilfe, durch Coaches / Berater, damit ihr Ursache und Traumata auflösen könnt und gemeinsam daran arbeiten könnt, euer Nähe-Distanz-Verhalten anzupassen.
Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Sinn geben! -Wilhelm von Humboldt-
Euer Coach Nadja
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