
“Ich bin traurig, weil ich das Gefühl habe, dass du sehr mit deiner Arbeit beschäftigt bist und unsere Beziehung vernachlässigst“.
“Ich fühle mich grade ziemlich hilflos, weil mein Chef mir ständig Überstunden aufdrückt.“
“Ich bin total glücklich, weil wir in 2 Wochen in den Urlaub fahren, das wird eine tolle gemeinsame Zeit“.
Klingt doch eigentlich ziemlich simpel und alltagstauglich, oder? Was so einfach klingt und geschrieben auch einfach aussieht, erweist sich in der Realität oft als schwierig. Meistens klingen die Sätze eher so:
“Dir ist unsere Beziehung total egal. Du interessierst dich nur für deine Arbeit.“ Oder: “Deine Arbeit scheint dir ja sehr wichtig zu sein, wenn du dafür die Beziehung hinten an stellst“. Oder “ich scheine dir nicht sonderlich wichtig zu sein, wenn du nur über die Arbeit sprichst.“
“Mein Chef ist ein Idiot, soll er anderen auch mal Arbeit auf’s Auge drücken.“ Oder “ Mein Chef versucht mich bestimmt rauszuekeln, deshalb muss ich so viele Überstunden machen.“
“Endlich mal raus und nichts tun.“ “Ich bin echt urlaubsreif und freue mich, wenn ich nichts höre und sehe.“
Ich denke, der Unterschied ist ersichtlich. Vielen Menschen fällt es schwer Ihre Emotionen zu benennen und mit dem Partner (oder auch anderen Menschen) zu kommunizieren. Es ist aber auch so, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, dass sie nicht über Emotionen sprechen. Wenn ich sage, du interessierst dich nur für deine Arbeit, muss doch klar sein, dass mich das wütend macht. Ein Beispiel dafür, dass die meisten darauf hoffen, dass der Andere schon selbst weiß, worum es geht. Unser Gegenüber ist quasi dafür verantwortlich unser Gesagtes bzw. nicht Gesagtes zu verstehen und entsprechendes zu erwidern. Erst wenn das Erwiderte nicht nach unseren Vorstellungen ausfällt, kommt es zum Konflikt. Im übrigen ist es ein Unterschied ob ich sage: “es macht mich traurig“ oder “es macht mich wütend.“ Je nachdem welche Wortwahl ich treffe fällt das Ergebnis unterschiedlich aus. Das sollte auch ins Bewusstsein übergehen. Ich entscheide, welche Reaktion mir entgegen gebracht, in dem ich entscheide, was ich wie formuliere. Dazu muss mir selbst erst einmal bewusst sein, welche Emotion ich empfinde.
Hierzu lade ich dich ein eine kleine Aufgabe zu erfüllen. Versuche so viele Emotionen zu nennen, wie dir einfallen. Klassisch sind traurig, sauer, aufgeregt, ängstlich, wütend, enttäuscht. Versuche mehr zu benennen OHNE zu googeln 😉 Vielleicht kommst du auf 20 oder 30?! Viel Spaß dabei!
Je mehr Emotionen dir bekannt sind, umso spezifischer kannst du kommunizieren und umso weniger Missverständnisse tauchen auf. Es gibt Emotionen die eine große Macht und große Wucht mit sich bringen und unter Umständen heftige Gegenreaktionen auslösen können. Andere wiederum sind dezenter, unauffälliger und lösen bei deinem Gegenüber keine starke Gegenreaktion aus. Du musst immer davon ausgehen, dass dein Gegenüber auch Emotionen hat, die du eventuell in dem Moment triggerst und er dadurch auch seine Reaktion nicht angemessen regulieren kann.
Wo und warum entsteht meine Emotion
Emotionen sind ein Zusammenspiel aus Wahrnehmung, Bewertung, Körperreaktionen, bewusster Erfahrung und Ausdruck. Sie dienen der Orientierung, dem Überleben und der Kommunikation mit anderen. Es gibt einige Psychologische Modelle, (z. B. der Appraisal-Ansatz), die erklären wie Bewertung und Kontext die jeweilige Emotion formen.
Zunächst eine faktisch basierte Erklärung zu Emotionen:
- Reizaufnahme: Ein Reiz aus der Umwelt oder dem Inneren wird über Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut etc.) aufgenommen.
- Wahrnehmung: Der Reiz wird im Gehirn erkannt und kategorisiert (z. B. als Gefahr, Freude, Schmerz).
- Bewertung (Appraisal): Das Gehirn bewertet schnell, ob der Reiz relevant, bedrohlich, belohnend oder irrelevant ist. Diese Bewertung basiert auf vergangenen Erfahrungen, Zielen und den eigenen Werten.
- Physiologische Reaktion: Je nach Bewertung werden automatisch körperliche Veränderungen ausgelöst (Herzschlag erhöht sich, Atemfrequenz ändert sich, Muskelspannung, Hormone wie Adrenalin freisetzen).
- Gefühlserleben: Das bewusste Gefühl entsteht durch die Integration der sensorischen Signale, der kognitiven Bewertung und der körperlichen Reaktionen. Hier können Tugenden wie Erkennen, Benennen und Bewerten eine Rolle spielen.
- Ausdruck und Handeln: Emotionen zeigen sich durch Mimik, Gestik, Stimme und Verhalten. Sie beeinflussen auch Entscheidungen und Handlungen (z. B. Flucht bei Angst, Freude beim Erfolg).
Emotionen haben eine evolutionäre Funktion – sie helfen uns zu überleben und mit unserer Umwelt umzugehen.
- Schutzfunktion: Angst signalisiert Gefahr → wir fliehen oder verteidigen uns.
- Bindung: Liebe und Zuneigung fördern soziale Beziehungen → wichtig für Kooperation und Aufzucht.
- Motivation: Freude motiviert uns, bestimmte Dinge zu tun → z. B. Essen, Lernen, Spielen.
- Kommunikation: Emotionen zeigen anderen, wie wir uns fühlen → z. B. durch Gesichtsausdruck oder Stimme.
Emotionen sind gar nicht so schlimm. Sie sind auch nichts schlechtes. Zugegeben, Emotionen können durchaus Angst machen und uns verunsichern. Dadurch können wir manchmal gar nicht so richtig mit ihnen umgehen und dann vermeiden wir, über sie zu sprechen. Dadurch bleibt allerdings sehr viel Potenzial für zwischenmenschliche Verbindungen liegen. Nicht nur innerhalb der Beziehung ist es hilfreich über Emotionen zu sprechen, auch im beruflichen Umfeld kann es Türen öffnen, über Emotionen zu sprechen. Es mag Stimmen geben, die das Gegenteil behaupten. Meine Erfahrung aus 20 Jahren im aktiven Berufsleben zeigt, Emotionen. haben noch nie geschadet. Bewusst und selektiv eingesetzt kann die emotionsbezogene Kommunikation zum absoluten Gamechanger werden.
Halte dir immer vor Augen, wenn du etwas erreichen möchtest, hast du einen Anteil daran, dass du es auch tatsächlich erreichen kannst. Das gilt auch für Emotionen. Du erwartest eine gewisse Offenheit, ein liebes Wort oder eine emotionale Offenbarung jeglicher Art, von deinem Gegenüber. Das bedeutet du wartest darauf, dass sich jemand dir gegenüber öffnet. Ok, kannst du machen. Vergiss nicht, dein Gegenüber geht vielleicht genauso heran. Das bedeutet Ihr beide wartet auf den anderen. Was glaubst du, wie wahrscheinlich kommst du nun an das, was du hören möchtest? Wenn du etwas möchtest, darfst du gerne in Vorleistung gehen. Gib dem anderen das Gefühl, es lohnt sich dir das zu geben, was du gerade brauchst.
Ein Beispiel: Dein Partner ist mit einem Freund für’s Kino verabredet, du fühlst dich aber nicht gut und dir wäre lieber, er würde bei dir bleiben und dich umsorgen. Das was du möchtest ist also Nähe, umsorgt werden, gesehen werden, wichtig genommen werden und du möchtest Priorität sein.
Um dahin zu kommen wäre folgende Formulierung denkbar:“ Schatz, ich weiß, Du bist verabredet und du hast dich schon gefreut. Allerdings fühle ich mich nicht sehr gut heute und mir würde es besser gehen, wenn du bei mir bleibst. Das gibt mir immer ein wohliges Gefühl- das kann ich gerade gut gebrauchen. Vielleicht kannst du die Verabredung in den nächsten Tagen nachholen“?
Eine Möglichkeit von vielen. Du gehst auf deinen Partner ein und nimmst wahr, dass dort eine Entbehrung entstehen könnte, du teilst deine Emotion mit und eröffnest deinem Partner die Möglichkeit sich zu kümmern, “wichtig“ zu sein (ich kenne niemanden, dem das nicht gefällt bzw. der sich das nicht wünscht) und gibts die Handlungsoption schon zur Hälfte vor. Jetzt ist es an deinem Partner die anderen 50% zu gehen.

Wenn man nie gelernt hat über Gefühle zu sprechen
Zugegebenermaßen ist es dann schwer. Es gibt mehrere mögliche Gründe, warum in deiner Familie nicht über Gefühle gesprochen wurde. Wenn Eltern oder Bezugspersonen selbst selten Gefühle benennen, lernt man unbewusst, es ihnen gleichzutun. Die Angst vor Konflikten oder Ablehnung, wenn man Gefühle offen zeigt, hemmt auch, Gefühle auszusprechen und anderen mitzuteilen. Auch kulturelle oder familiäre Normen können der Grund sein, weshalb in deiner Familie nicht über Gefühle gesprochen wurde. In manchen Familien gilt Zurückhaltung oder Stillschweigen als normgerecht. Das gilt natürlich nur, wenn sich mehrere Kulturen in deiner Familie wiederfinden und ein bzw. beide Elternteile einer anderen Kultur angehören als der hiesigen. Vielleicht ließ der Alltag deiner Eltern bzw. der Menschen, bei denen du aufgewachsen bist, schlicht keine tiefgründigen Gespräche zu. Hektik und Alltagstress machen Gespräche über Gefühle weniger wahrscheinlich. Wenn die Menschen in deinem Umfeld nicht gut über die Bedeutung von Gefühlen informiert waren, wurde diesem Thema keine hohe Priorität beigemessen, sodass du dir dies auch nicht abschauen konntest. Mach deinen Eltern keinen Vorwurf, ich bin sicher, sie haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sie wussten es nicht besser. (Familien, in denen Gewalt und Bedrohung Thema waren, schließe ich von dieser Aussage aus. Gewalt ist immer eine bewusste Entscheidung!) Andersherum kann es auch sein, dass du ein emotionales Übermaß hast. Das heißt, du wurdest mit Gefühlen und Gesprächen darüber überladen und hast das Gefühl, dass dir die Worte fehlen bzw. du schon alles gesagt hast. Auch das ist kontraproduktiv, wenn es darum geht, innerhalb deiner Partnerschaft oder anderen Verbindungen über Gefühle zu sprechen.
Je nach Verhältnis und Kontakt zu deinen Eltern kann es hilfreich sein, das Thema aus heutiger Sicht anzusprechen. Ihr könnt Altlasten aufarbeiten und zukünftige Gespräche konstruktiver und emotionaler gestalten. So lernt ihr euch auf einer anderen Ebene kennen und erfahrt Dinge, die euch dabei helfen können, einander in Zukunft besser zu verstehen. Ebenso können Missverständnisse aus der Vergangenheit geklärt werden, die vielleicht sogar die Stimmung negativ beeinflusst haben. Gleiches gilt übrigens für alle Menschen in deinem Umfeld.
Wie gehst du es an
- Schaffe dir einen Überblick über die verschiedenen Emotionen bzw. deren Definitionen. Die Grundemotionen lauten: Angst, Wut, Trauer, Freude. Sortiere nun zu jeder Hauptemotion ca. 15 “Untermemotionen“ bzw. Umschreibungen. So erweiterst du deinen emotionalen Wortschatz.
- Analysiere nun, welche Emotionen du kennst, welche vorherrscht und in welchen Situationen sie aufkommen. Du kannst eine Art Tagebuch darüber führen und nach wenigen Wochen erhältst du einen Überblick über dein “Fühl- Muster“
- Hinterfrage, bei welchen Emotionen und Situation du gerne anders empfindest würdest und wie du empfinden möchtest. Möchtest du anstatt Wut vielleicht lieber Trauer oder Angst empfinden? Oder ist die Wut eher eine Enttäuschung?
- Was kannst du konkret tun, um dort hinzukommen. Wie kannst du deine Gedanken und dein Handeln lenken, dass am Ende deine gewünschte Emotion dabei herauskommt.
- Fange an immer wieder zu kommunizieren, was in dir vorgeht, was du fühlst, was dein Gegenüber gerade in dir auslöst. Stück für Stück. Fang zum Beispiel an mit: “heute morgen bin ich erschöpft, das macht mich unruhig, weil ich einen wichtigen Auftrag zu erledigen habe“.
Besser spät anfangen, als niemals
Das trifft doch irgendwie auf alle Lebensbereiche zu, oder? Es ist nie zu spät, etwas zu ändern, neu zu beginnen oder etwas anders zu machen als bisher. Es lohnt sich auch immer, Gespräche über Gefühle zu führen. Egal, an welchem Punkt in deinem Leben du stehst: Fang an! Jeder Schritt ist besser, als stehen zu bleiben. Geh los, und du wirst sehen, was Tolles auf dich wartet. Freue dich auf tolle Gespräche, neue Erkenntnisse und wundervolle Begegnungen!
Dein Coach Nadja
















