Was bedeutet eigentlich Aufarbeitung? Es klingt zunächst gut, wenn Paare nach einem Konflikt oder einer Krise von Aufarbeitung sprechen. Es klingt, als hätten sich beide Partner Gedanken gemacht und wollten nun an einer Verbesserung arbeiten. Oft ist aber nicht klar, was zu einer Aufarbeitung gehört, was damit erreicht werden soll und warum es überhaupt etwas aufzuarbeiten gibt. Das sind die entscheidenden Fehler, warum die „eigene“ Aufarbeitung selten gut gelingt. Warum man sich gerne selbst blockiert und Hilfe von außen oft unumgänglich ist? Was bedeutet Aufarbeitung und ist sie immer sinnvoll? Das erfahrt ihr natürlich in diesem Artikel 😉
Aufarbeitung ist das Versäumnis der Vorarbeit
Provokativ kann ich sagen, wer aufarbeiten muss, hat im Vorfeld etwas versäumt. Da ich ja gerne etwas deutlicher kommuniziere, sage ich es auch so 😉 Wer meine Artikel regelmäßig liest, kennt mich und meine Art zu schreiben 😉
Es kommt immer darauf an, was in der Beziehung passiert ist. Damit ist auch schon der erste wichtige Punkt angesprochen. Was „muss“ aufgearbeitet werden! Nicht alles, was destruktiv ist oder zu Reibereien führt, muss langwierig aufgearbeitet werden. Wie findest du heraus, was sich lohnt und was nicht? Indem man es vorher kommuniziert.
Spätestens aber bei den regelmäßigen Feedbackgesprächen, die jedes Paar führen kann (und meines Erachtens auch sollte), sollte dieses Thema auf den Tisch kommen. Das heißt, es muss definiert werden, was Unterschiede sind, wo die Unterschiede liegen und wie sich jeder den Prozess des Verzeihens und der Konfliktbearbeitung vorstellt. Ganz wichtig ist auch zu definieren, wo die Grenzen für Entgleisungen jeglicher Art liegen. Sei es die verbale Entgleisung, der Seitensprung, die Affäre oder auch nur ein „Du bist doof“. Jeder zieht seine Grenzen ganz anders und das ist gut und richtig. Falsch ist es zu glauben, der Partner müsse sie kennen und wissen, was geht und was nicht. Dein Partner muss nichts! Genauso wenig wie du!
An der Stelle ein kleiner Kommunikations- Tipp: Statt “du bist doof“, besser: “ich empfinde dich gerade als nervig“, “ich kann gerade nicht gut mit deiner Anwesenheit umgehen“ oder “du hast dich in der Situation doof verhalten“, dein Verhalten hat nicht zu der Situation gepasst.
“Du bist doof“ ist eine generelle Abwertung, der Person! Das möchte niemand!
Aufarbeitung ist kein Sprint, sondern ein Marathon
Zeit ist der wichtigste Faktor, wenn es um Aufarbeitung geht. Die Idee, dass wir ein bisschen reden und uns sagen, wie wir es besser machen können, ist wenig bis gar nicht nachhaltig. Aufarbeitung braucht Zeit. Wochen, Monate, manchmal Jahre. Ich würde sogar sagen, sie hört nie auf. Nicht umsonst steckt das Wörtchen Arbeit in dem Wort. Welche Arbeit endet schon nach einem Gespräch? Das Wichtigste, wenn es zu einer Situation kommt, die aufgearbeitet werden muss, ist, zu akzeptieren, dass das nicht von heute auf morgen geht. Nehmt euch die Zeit immer wieder zu sprechen und immer wieder Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Der größte Fehler ist, davon auszugehen, dass mit einem Gespräch, was 5 Stunden dauert, alles gesagt ist. Mitnichten ist das der Fall. Im Gegenteil. In den ersten Gesprächen sagt man sehr oft gar nichts von dem, was man sagen sollte. Gespräche beginnen oft mit einer Flut an Emotionen, Vorwürfen, Verbesserungsvorschlägen, Impulsen von Freunden, Meinungen aus dem Umfeld und das Verallgemeinern von Verhaltensweisen ( das, was du jetzt gemacht hast, hast du immer schon gemacht..). Grundlage für dieses Verhalten ist eine emotionale Überforderung. Angst, Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit darüber, dass “uns“ so etwas passiert. Deshalb auch hier wichtig Abstand davon zu nehmen, dass es nur euch passiert. Grundsätzlich ist keine Beziehung davor gefeit, aber mit den richtigen Maßnahmen im Vorfeld oder der richtigen Bearbeitung im Nachgang, kann wieder alles gut werden.
Fragen, die während der Aufarbeitung hilfreich sein können:
- Was habe ich dazu beigetragen, dass wir in der Situation sind?- diese Frage gilt für beide Partner und ist nur mit absoluter Ehrlichkeit zielführend
- Durch was hätten wir diese Situation verhindern können?
- Wollen wir den Fluss weiterschieben oder das Boot rudern?
- Was sollte der erste Schritt, zu einer Veränderung, sein?
- Wie fühlst du dich gerade?
- Welche positiven Gedanken hast du?
- Was müssen wir tun, damit wir als Paar scheitern?
Das sind Beispielfragen und längst nicht alle, die man stellen kann. Für das erste Gespräch sind sie aber hilfreich. Ich weiß, aus meiner täglichen Arbeit, dass Paare sehr stolz sind, wenn Sie davon berichten schon aufgearbeitet zu haben und wir gemeinsam quasi nur noch den “Rest“ machen können. Deshalb gebe ich einfühlsam zu verstehen, dass wir einfach gemeinsam schauen, was es zu tun und zu bearbeiten gibt 😉
Ein wichtiger Impuls soll euch nicht vorenthalten werden: Aufarbeitung beginnt IMMER bei mir selbst. Jeder für sich, sollte auf sich selbst schauen. Dabei das wichtigste: der Andere darf nicht auf ein Podest gehoben werden und von Schuld frei gesprochen werden, während man sich selbst an den Pranger stellt. Hierbei geht es eher darum gar nicht erst mit Vorwurf und Schuldzuweisung zu starten. Dann wird es nämlich nichts mit dem Erfolg, am Ende der Aufarbeitung!
Akzeptieren, was nicht zu retten ist
Eine Ehe oder Beziehung zu retten, das klingt doch toll, oder? Wer ist nicht beeindruckt, wenn Menschen erzählen, dass sie ihre Beziehung gerettet haben? Wir haben schon gelernt, dass das bedeutet, dass im Vorfeld etwas schief gelaufen ist. So weit, so gut. Die Frage ist, ob Aufarbeitung immer sinnvoll ist oder ob es nicht manchmal sinnvoller wäre, zu akzeptieren, dass nichts mehr zu retten ist. Sehr oft dient die Aufarbeitung dazu, den ursprünglichen Lebensstandard nicht aufgeben zu müssen und ein aufgebautes Image nicht zu verlieren. Nicht selten sind monetäre und materielle Verpflichtungen die Motivation, längst Zerstörtes wieder aufzubauen oder zu reparieren. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass jeder Mensch sich selbst so viel wert sein sollte, dass er bereit ist, Konsequenzen zu ziehen, wenn er sich respektlos behandelt fühlt oder gegen seine eigenen Werte verstoßen wurde. Erinnerungen sind schön und niemand kann sie wegnehmen. Aber man sollte nicht gegen seinen inneren Drang handeln. Die Gefahr ist groß, dauerhaft unzufrieden und frustriert durchs Leben zu gehen.
Hier sind weitere Fragen, die hilfreich sein können, um herauszufinden, ob das Aufarbeiten sinnvoll ist:
- Was, ganz konkret, versprechen wir uns von der Aufarbeitung?
- Was benötigen wir, um es in Zukunft besser zu machen?
- Was würden wir unseren Freunden raten? (zu sagen: “wenn ihr euch liebt, versucht es“, ist kein Ratschlag!!)
- Was wäre durch die endgültige Trennung besser?
- Was wäre das negativste, das durch die Trennung passieren kann?
- Sind wir in den letzten 3 Monaten respektlos miteinander umgegangen?
- Beruhen die Emotionen auf Erinnerungen oder auf tatsächlicher Zuneigung?
Fragen über Fragen. Alle Fragen benötigen Zeit und Ruhe, Ehrlichkeit und Mut. Aber dann sind die Antworten auch zielführend.
Routinen machen blind
Jeder Dialog erfordert das Verlassen der eigenen Komfortzone. Das gilt auch für die gemeinsame Gestaltung des Alltags. Routinen behindern den Fortschritt. Schafft euch neue Ziele. Schafft euch überhaupt Ziele. Mit Verlaub: Die nächste Reise auf die Kanaren ist ein schönes und wichtiges Ziel, aber keines, das Eure Beziehung stabil hält. Fragt Euch, was Euch verbindet und worin Eure gemeinsame Beziehungsreise ihren Sinn findet. So schön die gemütlichen Abende vor dem Fernseher sind, so giftig sind sie für die Beziehung. Zumindest dauerhaft und täglich. Erweitert Euren Horizont. Brainstorming kann helfen, neue Interessen und Hobbys zu finden. Routine führt zu Betriebsblindheit, Trägheit und ungesunde Distanz. Vor allem Beziehungen, die über Jahre oder Jahrzehnte bestehen, neigen zu dieser Betriebsblindheit. Beide Partner ruhen sich darauf aus, dass sie sich kennen und dass sie das schon seit vielen Jahren so machen. Das ist richtig! Deshalb steht ihr da, wo ihr steht 😉 Also werdet kreativ, schmeißt Altes über Bord und wagt Neues. Das macht Spaß und belebt. Außerdem lernt ihr euch dabei kennen.
Denn: wenn du das tust, was du immer getan hast, wirst du nur das bekommen, was du schon immer hattest! -Anthony Robbins-
Macht euch unabhängig
Klingt zunächst kontraproduktiv, ist aber unerlässlich. Schafft euch euren eigenen „Wirkungskreis“. Macht euch unabhängig vom Leben des anderen. In dem Moment, in dem ihr euch auf euch selbst besinnt und eure eigenen Hobbys nachgeht, gebt ihr eurer Beziehung Raum, sich zu entfalten und zu regenerieren. Es klingt wunderbar romantisch, jeden Schritt gemeinsam zu gehen und alles im Leben miteinander zu teilen. Aber Romantik allein hilft leider nicht. Im Gegenteil: Wenn keiner von beiden Raum hat, sich selbst zu reflektieren, sich zu fragen, was ihn ausmacht und was ihm Spaß macht, geht die eigene Identität verloren. Jeder Partner definiert sich dann über die Beziehung und das führt irgendwann (im schlimmsten Fall) zu einer Identitätskrise. Man fühlt sich einsam und fragt sich nach dem Sinn des Lebens. Hinzu kommt eine geringe Emotionsregulation und so kommt es schnell zu Antriebslosigkeit und Erschöpfung. Hinzu kommt, dass mit eigenen Interessen und Beschäftigungen auch neue Gespräche möglich werden. Ein neuer Austausch kann gestaltet werden und auch dieser belebt die Beziehung. Beide können voneinander lernen und neue Impulse aufnehmen. Für das Selbstwertgefühl ist es durchaus förderlich, wenn wir es nähren und uns selbst beweisen, auch alleine fähig und wirksam zu sein. Wenn jeder mit sich glücklich und zufrieden ist, dann dient die Beziehung nicht der Erhaltung des eigenen Selbstbildes, sondern ist ausschließlich zur Potenzierung von Glücksmomenten da. Aus dieser Grundlage heraus, lässt sich eine romantische, glückliche, solide und wertschätzende Beziehung aufbauen.
Nicht die Beziehung ist es, die dich glücklich macht, sondern die Menschen, die diese Beziehung führen sollen glücklich sein!
Viel Erfolg dabei 😉
Dein Coach Nadja