
Liebe auf den ersten Blick? Das wünscht sich jeder, aber es gibt sie wohl nur im Märchen. In den ersten Wochen einer Beziehung kann es gar nicht schnell genug gehen, schließlich hat man den perfekten Menschen gefunden, oder? Beziehungen durchlaufen verschiedene Phasen. Das klingt zunächst unromantisch. Aber je bewusster wir damit umgehen, desto stabiler und wetterfester wird unsere Beziehung sein. Konflikte und schwierige Momente gibt es immer mal, die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Was heißt also zu schnell, wofür sollte man sich Zeit lassen und ab wann muss man in die Vollen gehen? Lest den Artikel 😉
Ich orientiere mich in diesem Artikel an Erkenntnissen und dem Wissen von Verhaltenstherapeut und Paartherapeut John Gottmann und beziehe auch meine Erfahrung aus meiner bisherigen 6 jährigen Arbeit mit Paaren und Familien mit ein. Es gibt unzählige Studien und Statistiken, die über Jahre zu gleichen oder ähnlichen Erkenntnissen gekommen sind.
3 Phasen einer Beziehung
Was unromantisch klingt, ist wichtig um zu verstehen, wie Beziehung funktioniert. Was passiert psychologisch und körperlich, wenn wir eine Beziehung eingehen bzw. einen Menschen kennenlernen, mit dem wir uns eine Beziehung vorstellen können?
Die erste Verliebtheitsphase ist aufregend – ein Ausnahmezustand für Körper, Herz und Hirn. Schmetterlinge im Bauch, der Puls rast. Verliebte können an nichts anderes mehr denken als an den oder die Geliebte – sie sind geradezu besessen vom anderen. Der Körper der Verliebten produziert eine natürliche Form von Amphetaminen. Sie fühlen sich wach und erregt. Pheromone, menschliche Duftstoffe, verstärken den Eigengeruch. Sie sorgen dafür, dass der Auserwählte Partner nicht nur attraktiv aussieht, sondern auch gut riecht.
Oxytocin, auch „Kuschelhormon“ genannt, wird immer dann ausgeschüttet, wenn sich Menschen zärtlich berühren. Bei Frauen deutlich mehr als bei Männern. Ein Grund, warum frisch Verliebte die erste Zeit ihrer Beziehung oft Arm in Arm verbringen und kaum voneinander loskommen. Oxytocin regt auch die Ausschüttung anderer Stoffe an, darunter der Glücksbotenstoff Dopamin. Dieser Hormonmix wirkt sich jedoch ungünstig auf unser Urteilsvermögen aus. Verliebten fehlen in der ersten Phase der Beziehung oft die Antennen für Warnsignale. Die Euphorie hält meist zwischen drei Monaten und einem Jahr an. In dieser Phase finden Verliebte alles wunderbar, akzeptieren jedes Verhalten und hinterfragen wenig bis nichts. Sie idealisieren ihr Gegenüber und glauben, den Mr. oder die Mrs. Perfect gefunden zu haben. Ansichten, Verhaltensweisen, aber auch optische Attribute, die man unter „normalen“ Umständen nicht gut finden würde, erscheinen plötzlich wahnsinnig toll. In dieser Phase vermeiden Verliebte oft unangenehme Fragen aus Angst, die Antwort könnte die Blase zum Platzen bringen. Andererseits geben Verliebte in dieser Phase Antworten, die sie ohne “Rauschzustand“ so nicht beantworten würden. Es wird also deutlich diese erste Phase ist trügerisch. Insbesondere im Bereich Zukunftsplanung kann in dieser ersten Phase einiges schief gehen.
In der zweiten Phase ist die rosarote Brille in der Regel abgesetzt, die Liebenden sehen wieder klarer. Macken und Eigenheiten können ihn oder sie nicht mehr ganz so anziehend wirken lassen wie am Anfang der Beziehung, Unordnung auf der einen, Putzfimmel auf der anderen Seite. Zeitmanagement wird zunehmend problematischer, weil Erwartungen steigen, das unbändige Engagement aus der ersten Phase ist gleichzeitig blasser geworden. Ungeliebte Verhaltensmuster oder Gewohnheiten des Gegenüber können zu Missstimmung führen. „Hältst du zu mir, wirst du für mich da sein?“, die Frage nach Sicherheit steht im Zentrum. Hier fallen auch oft Sätze wie: “früher war das ok, jetzt passt das nicht mehr zu dir“ oder “am Anfang fand ich toll, dass du…, aber inzwischen nervt es mich“. Diese zweite Phase ist die schwierigste Zeit in einer Liebesbeziehung. Meist setzt sie innerhalb der ersten zwei Jahre ein. Unterschiedliche Vorstellungen können zu Enttäuschung, Traurigkeit, Wut und Streit führen. Viele Paare trennen sich schon vor ihrem ersten Jahrestag. Oft deshalb, weil Paare sich zu wenig Zeit nehmen sich wirklich kennenzulernen bzw. auf einer Ebene kennenlernen, die nicht tragfähig ist. Auch der gesellschaftliche Druck, führt zu überhasteten Entscheidungen, die am Ende zu bösem Erwachen führen können. Ausnahmen gibt es immer, das möchte hier betonen!
Übrigens konnte Gottman erstaunlicherweise nach nur kurzer Beobachtung streitender Paare voraussagen, ob sich die beiden jeweils innerhalb der nächsten Jahre trennen würden – mit 90-prozentiger Trefferquote. In seinem „Liebes-Labor“ (Love Lab) untersuchte er Kommunikationsstil, Körpersprache und die körperlichen Reaktionen während eines Konflikts. Für eine stabile Beziehung müssen die positiven Interaktionen überwiegen, und zwar mindestens im Verhältnis 5:1. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass beispielsweise einer geäußerten Kritik fünfmal Lob, Bestätigung oder Anerkennung gegenüberstehen sollten. Paare, bei denen das gegeben ist, scheinen eher zusammen zu bleiben, als Paare, auf die das nicht zutrifft.
Paare, die die Hürde der zweiten Phase gemeistert haben, lernen sich in der dritten Phase wirklich kennen und binden sich emotional tiefer. Das bedeutet, den Partner oder die Partnerin als ganze Persönlichkeit zu schätzen, die Werte des anderen anzuerkennen. Engagement und Loyalität sind die Basis für eine stabile Beziehung – ob für einen längeren gemeinsamen Zeitraum oder ein Leben lang. An der Stelle sagen einige: ‚ich hab das auch schon vorher akzeptiert, sonst wären wir nicht bis hierher gekommen“. Kann man so sehen. Die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Wie erwähnt akzeptieren wir zu Beginn alles. Wir sagen zu fast allem ja und finden pauschal alles gut. Was Akzeptanz und Verständnis wirklich bedeuten, zeigt sich naturgemäß erst später. Nämlich wenn Situationen entstehen, in denen dieses gefordert ist. Und das ist es in den allermeisten Fällen nach 1,2,3 Jahren Beziehung.
Glückliche Paare gehen also sanfter miteinander um als diejenigen, die in einer „Beziehungskatastrophe“ stecken. Doch wo lauern die Beziehungskiller? Es sind vermutlich ganz bestimmte, destruktive Verhaltensweisen. Treten sie geballt auf, dann sind sie ein schlechtes Omen für die Liebe. Gottman spricht von den „vier Reitern der Apokalypse“: Kritik, Verteidigung, Verachtung und Mauern – allesamt Indikatoren, die eine Trennung beziehungsweise Scheidung begünstigen können. Nicht müssen!
Bindungsangst oder Verlustangst oder beides?
Viele, wenn nicht sogar die meisten, Menschen gehen auch nach einer Trennung schnell wieder eine neue Beziehung ein. Aber warum binden Menschen sich unnatürlich schnell an andere Menschen und nehmen sich wenig Zeit für sich selbst und überstürzen nach einem Kennenlernen jeden weiteren Schritt? Unterschiedliche Faktoren spielen eine Rolle. Die wohl zwei größten greife ich einmal auf. Die Angst vor dem allein sein, also ein “gestörtes Bindungsverhalten“ und der gesellschaftliche Druck, der einem suggeriert, dass eine Beziehung notwenig ist, um als lebensfähiger Mensch zu gelten. Das erste ist wahrhaftig ein Problem, das zweite muss kein Problem sein, außer wir machen es zu einem. Dennoch hängen beide Punkte irgendwie miteinander zusammen. Ein gestörtes Bindungsverhalten habe ich in früher Kindheit antrainiert, um gewissen Mustern und Verhaltensweise zuhause, angemessen begegnen zu können. Unser Unterbewusstsein hat uns einen Überlebensplan mitgegeben, sodass wir die Zeit, in der wir nicht für uns selbst sorgen können, überstehen. Mit diesem Muster gehen wir letztlich ein Leben lang weiter. Dieses Muster rufen wir immer wieder ab, auch im Zusammenhang mit Partnerschaften. So haben Menschen, die sich in Ihre Kindheit und Jugend allein gefühlt haben, meistens ein erhöhtes Bedürfnis nach Bindung und suchen nach jeglichen Möglichkeiten Verbindung zu Menschen aufzubauen. Aber auch jene, die immer enge Verbindungen hatten und diese als unbedingt notwendig kennenlernen, haben ein dringendes Bedürfnis auch zukünftig Bindungen einzugehen. Beide Muster verleiten dazu, allzu schnell Bindungen einzugehen und schnell zu glauben, den richtigen Menschen gefunden zu haben. Der objektive Blick wurde zu wenig trainiert und der Glaube “nur in Beziehung bin ich wertvoll“ zu sehr manifestiert. Auch das was wir vorgelebt bekommen hat großen Einfluss auf unser Bindungsverhalten, weil dadurch eben wieder bestimmte Muster entwickelt werden. Wenn die Eltern viele Jahre zusammen sind und eine Trennung z.B. als “macht man nicht“ vorleben, so werden auch wir glauben, dass man für immer zusammen bleiben muss, weil man etwas anderes nicht macht. Erleben wir ständig Trennungen und neue Partner, kann das ebenfalls dazu führen, dass wir dringend nur eine Verbindung möglichst ein ganzes Leben lang halten, weil die ständigen Trennungen negative Spuren in uns hinterlassen haben. Hier springt dann die Verlustangst an. Eine Bindungsstörung kann also sowohl bedeuten, dass wir uns immer wieder in eine Beziehung stürzen ohne zu hinterfragen, ob es eine positive Verbindung ist, sie kann aber auch dafür sorgen, dass wir nur eine Bindung eingehen und an dieser festhalten, egal wie wir uns fühlen, Hauptsache wir haben eine Beziehung. Beides ist natürlich nicht zielführend und führt langfristig nicht zu großer Zufriedenheit. Die Gesellschaft kann, wie schon erwähnt, ebenfalls ein großer Faktor sein. Denn die Einflüsse können uns in unseren Überzeugungen bestärken und ohne entsprechendes Bewusstsein, lassen wir uns davon leiten. Wir landen dadurch in Beziehungen, die wir unter “normalen“ Bedingungen nicht eingehen würden. Letztlich hat jeder irgendein Muster erlernt und manifestiert. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht und inwieweit wir uns davon beeinflussen lassen.

Liebe auf den ersten Blick?
Und plötzlich scheint es, als halte die Welt den Atem an, als warte sie nur darauf, dass sich die Lippen der Liebenden berühren. Gerade sind sie sich begegnet – doch sofort ist es um sie geschehen.
Klingt kitschig? Mag sein. Die Szene entspricht dem romantischen Ideal, das in Literatur, Filmen und Musik verbreitet wird. Schon die Griechen in der Antike glaubten an Liebe auf den ersten Blick, Shakespeare schrieb darüber, die Beatles und andere sangen davon. In Befragungen sagen etwa 25 Prozent der Teilnehmer, sie hätten das selbst erlebt. Nun nimmt es die Liebe generell mit der Wahrheit nicht so genau und Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen beschäftigt haben, kommen nun zu einem eher unromantischen Schluss: Liebe auf den ersten Blick ist vor allem eines – eine Illusion.
Liebe besteht aus Vertrauen, Fürsorge, Zuneigung, Zugehörigkeit, gleichen Zukunftsideen. Dass der Gefühlshaushalt nach nur einem Blick von derart tiefen Empfindungen überwältigt werden könnte, ist vielleicht etwas vermessen. Geborgenheit und Nähe entstehen im Lauf einer gemeinsamen Geschichte. Der erste Blick verschafft nur Gewissheit, dass vom anderen Anziehung ausgeht. 100 Millisekunden reichen, um zu einem Eindruck zu gelangen, der kaum je revidiert wird. Liebe allerdings benötigt weitaus mehr als ein paar Millisekunden. Liebe entsteht über Jahre hinweg und ist irgendwann nicht mehr nur ein Gefühl, sondern eine Grundlage für das ganze Leben.
Vergleich mit dem “davor“
Experten haben herausgefunden, dass sich vor allem Menschen schnell verlieben und sich schneller auf eine Beziehung einlassen, die zuvor wiederholt schlechte Erfahrungen gemacht haben oder die zuvor noch keine längerfristige, tragfähige Beziehung hatten. Ein Phänomen, das auch bei Seitensprüngen und Affären zu beobachten ist. Wenn die Erfahrungen vorher schlecht waren, ist das, was kommt, erst mal gut. Einfach weil es anders ist. Es wird in jeder Situation verglichen. Das Fazit ist fast immer: Es ist besser, weil es der oder die Richtige ist. Menschen, die schon vorher feste Beziehungen hatten, die nicht im Streit oder mit negativen Emotionen endeten, neigen eher dazu, abzuwarten und mit Ruhe und Bedacht in eine Beziehung zu gehen. Sie haben meist den Weitblick zu sehen, was passen könnte, was in Zukunft schwierig werden könnte und wie es um die eigenen Vorstellungen steht. Am Ende ist es einfache Psychologie. Wenn ich schon einmal etwas Gutes hatte, weiß ich, dass ich es wieder haben kann, wenn ich warte. Wenn ich noch nie etwas Gutes hatte, möchte ich so schnell wie möglich zu den Glücklichen gehören, die in einer liebevollen Beziehung leben. Wenn ich weiß, dass ich nach 20 km ein gutes Erdbeereis bekomme, dann esse ich nicht das schlechte an der Ecke. Ich warte einfach, bis ich wieder 20 km fahren kann, um das gute zu bekommen. Und das heißt natürlich nicht, dass nicht trotzdem etwas Schönes dabei herauskommen kann. Es heißt auch nicht, dass jede Beziehung, die langsam beginnt, automatisch ein Leben lang hält. Es geht nur darum, beide Seiten zu beleuchten und festzustellen, dass die Häufigkeit, mit der Beziehungen scheitern, mit dem Start und der Geschwindigkeit zusammenhängt.
Für die Liebe braucht er Verliebtheit
Letztendlich ist die Zeit, in der wir uns verlieben, von Mensch zu Mensch verschieden. Tatsache ist jedoch, dass Liebe Zeit braucht, um zu reifen. Je mehr Zeit wir ihr geben, desto dauerhafter und fester wird sie. Auch nach dem Ende einer Beziehung ist die Liebe nicht einfach verschwunden. Nach einer Trennung braucht es Zeit, um alte und neue Gefühle zu verarbeiten und zu empfinden. Anstatt eine Liste abzuarbeiten und nach einem bestimmten Schema Zeit und Punkte einer Beziehung abzuarbeiten, sollten wir diese Energie in uns selbst und in die Beziehung selbst investieren.
Liebe ist Raum und Zeit, dem Herzen fühlbar gemacht. – Marcel Proust –
5 Tipps damit Liebe entsteht und bleibt
- Vorsichtig mit sich selbst sein. Nicht zu schnell zu viel preisgeben- es besteht die Gefahr uninteressant zu werden, wenn es “nichts mehr zu entdecken“ gibt.
- Dynamik entstehen lassen. Nicht zu sehr versuchen etwas herbeizuführen. Es kommt schon alles, dann wenn es soll.
- Keinen Plan verfolgen. Liebe passiert und entsteht nicht durch einen guten Plan.
- Nicht zu schnell alltäglich werden. Zu schnell “Alltag“ zu haben nimmt der Verliebtheit ihren Zauber. Es kann schnell selbstverständlich werden. Verliebtheit lebt von dem “ungewissen“
- Mittelweg zwischen ernst nehmen und abwarten. Bei manchen Themen muss man nicht einer Meinung sein, bei anderen hingegen sollte eine gewisse Kompatibilität bestehen. Eventuell fällt es sonst erst nach vielen Monaten oder einigen Jahren auf und dann hält die Beziehung das womöglich nicht aus.
Viel Spaß in der Liebe!
Euer Coach Nadja