
Jeder von uns hat sie. Eine bewegte oder weniger bewegte Vergangenheit. Jeden Morgen, wenn wir aufstehen, haben wir eine Vergangenheit – das Gestern. Alle Erfahrungen und Erinnerungen, die wir mit uns tragen, stammen aus der Vergangenheit. All das formt uns und prägt unsere Gedanken und Gefühle. Sowohl positive als auch negative. Leider sind die negativen allgegenwärtig und haben großen Einfluss auf zukünftige Begegnungen und Beziehungen. Oft viel mehr als die positiven. Wie schade! Aber warum ist das so? Wie viel Vergangenheit ist für die neue Beziehung relevant und kann ich damit abschließen? Das wollen wir uns in diesem Artikel genauer anschauen.
Sola dosis facit venenum
Wie viel du über deine Vergangenheit erzählst, bleibt natürlich dir überlassen. Es gibt einige Aspekte, die du berücksichtigen solltest. Zuerst solltest du dich fragen, warum du bestimmte Informationen weitergeben möchtest. Frag dich immer wieder, warum du etwas erzählen willst. Frag dich auch, welche Reaktion du dir wünschst oder sogar erwartest. Die Motivation: „Mein Partner muss einfach alles wissen“ kann kontraproduktiv sein. Mache dir deshalb klar, was du mit deiner Offenheit erreichen willst. Überlege, inwiefern sie sich positiv auf eure Beziehung auswirken kann. Bedenke aber auch, dass es negative Auswirkungen haben kann und überlege dir, ob das zielführend ist. Denn was in deiner Vergangenheit passiert ist, hat nicht unbedingt etwas mit der Gegenwart zu tun. Wenn du bestimmte Themen bereits verarbeitet und abgeschlossen hast, macht es wenig Sinn, sie noch einmal aufzuwärmen und zu durchleben. Vor allem dann nicht, wenn sie keinen Einfluss auf deine Gegenwart oder deine Zukunft mit deinem neuen Partner haben. Deshalb solltest du gut dosieren, was du von dir preisgibst. Es gibt definitiv Informationen, die wichtig sind, um eine ehrliche Beziehung aufbauen zu können. Aber es gibt eben auch Dinge, die du als deine Privatsphäre betrachten kannst und die du nicht unbedingt erzählen musst. Die Frage ist also, wann du Details aus deiner Vergangenheit erzählst.
timing ist alles
Wenn Menschen eine Beziehung eingehen und die Schmetterlinge fliegen, neigen sie dazu, zu erzählen, „was Gott verboten hat“. Durch die rosarote Brille verzeihen wir viel und die meisten Menschen nutzen das aus, um sich alles von der Seele zu reden, ohne sich zu fragen, ob die alte Beziehung das aushält. Ob mein neuer Partner das aushält. Oder ich selbst. Die Anfangsphase einer Beziehung ist geprägt von Leichtigkeit und Sorglosigkeit. Wir halten den anderen für nahezu perfekt und können uns alles vorstellen. In diesem Zustand über die schwersten Stunden der Vergangenheit zu sprechen, kann zu großer Ernüchterung führen. Die junge Phase der Beziehung überlebt das vielleicht nicht, weil der andere unter Druck gerät. Ängste machen sich breit, die Leichtigkeit geht verloren. Ein völlig Fremder offenbart mir sein ganzes Leben. Das löst nicht selten Fluchtinstinkte aus. Wir wollen nicht sofort mit den Problemen eines Anderen, eines Fremden belastet werden. Wir wollen in dieser Phase nicht hören, dass jemand eine unvollkommene Geschichte hat. Denn genau das tun diese Geschichten. Sie betonen die Probleme, die Schwierigkeiten. Denn gerade wenn es um Ex-Partner geht, geht es um Probleme. Sonst hätte man sich ja nicht getrennt. Man hat also selten etwas Gutes zu erzählen. Automatisch hat mein Gegenüber das Gefühl, sich darauf einlassen zu müssen. Durch Zuhören, Zuspruch geben, Rücksicht nehmen, interessiert nachfragen. Egal wie, es entsteht Druck. Dabei sollte ich immer bedenken, dass mein Gegenüber auch eine Geschichte hat. Unter Umständen prallen gerade zwei Lebensgeschichten aufeinander und führen zu Distanz und nicht wie erhofft zu mehr Nähe und Vertrauen. Langsames Herantasten, eine unbeschwerte Zeit genießen, das ist das Wichtigste. Im Laufe der Zeit wird es immer wieder Gelegenheiten geben, sich von Teilen der Vergangenheit zu trennen. Nicht zu voreilig, erst eine solide Basis schaffen, auf der man sicher sein kann, dass die Beziehung das aushält. Denn mal ehrlich, wie fändest du es, wenn dir jemand direkt sagt, wie schlecht, böse und unfähig der Ex-Partner war? Hättest du nicht das Gefühl: “Oh, jetzt muss ich besonders toll sein, damit er besser von mir denkt“? Hättest du nicht das Gefühl: “hmm, wie redet er denn über mich, sollten wir uns trennen oder sollte ich nicht funktionieren“?
Das was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter, als über Paul aus;).
Am Anfang ist jede Beziehung unbeschwert und eher zerbrechlich. Wenn sich dann noch beide Seiten verletzlich machen, ist das eine destruktive Kombination. Zumindest in den meisten Fällen. Ich zeige meine verletzliche Seite und diese Seite bringt Erwartungen mit sich. Das heißt, ich lade etwas ab und hoffe, etwas zurückzubekommen. Das ist nicht fair und auch nicht förderlich. Mein Gegenüber ist nicht dazu da, mir etwas zurückzugeben. Mein Gegenüber ist nicht dazu da, Erwartungen zu erfüllen, weil ich noch Dinge in meinem Rucksack habe. Deshalb rate ich Paaren, die am Anfang einer Beziehung stehen oder auch Singles, die sich sehnlichst einen Partner wünschen, ihren Rucksack zu leeren und ihn nicht bei einem potentiellen neuen Partner abzuladen. Dazu gehört auch, sich zwischen zwei Beziehungen genügend Zeit für die Verarbeitung zu lassen. Es gibt keine „richtige Zeit“, aber je länger die letzte Beziehung dauerte und je schwieriger und negativer sie endete, desto mehr Zeit braucht man. Die Psyche. Das Unterbewusstsein. Ich persönlich halte ein Jahr für angemessen. Auch mehr, wenn die Beziehung besonders lang war. Viele Jahre Beziehung kann man nicht in 4 oder 6 Wochen aufräumen. Niemals! Die Gefahr ist groß, dass man zu viel alten Kram mitnimmt, der einem irgendwann, auch Jahre später, noch auf die Füße fällt.
Was sollte ich erzählen und was nicht
Wie bereits erwähnt, sollten die ersten Wochen leicht und unbeschwert sein. Konzentriere dich auf das Positive und auf das, was gut zusammenpasst. Wenn die Gespräche tiefer werden, wenn man anfängt, Pläne zu schmieden, dann sollte man gut selektieren, was wichtig ist und was nicht. Es gibt keine Liste mit Go’s und No Go’s. Um sich gegenseitig zu verstehen, ist es sicher hilfreich, einige negative Erfahrungen aus der vorherigen Beziehung oder aus dem Elternhaus zu erwähnen. Zum Beispiel, wenn es um groben Umgang oder gar Gewalt geht. So kann ein flapsiger Klaps auf den Po eventuell negative Gefühle auslösen. Auch eine angezettelte Kissenschlacht kann unter Umständen negative Folgen haben. Wichtig ist an dieser Stelle, dass solche Dinge als persönliche Erfahrungen geäußert und mit Emotionen unterlegt werden. Auf keinen Fall sollten Vergleiche gezogen werden oder gar Übertragungen stattfinden (Du bist wie … und du machst wie …). Auch die Vergangenheit des Ex-Partners sollte nicht thematisiert werden. (Mein Ex hatte eine Affäre, mein Ex wurde zu Hause geschlagen…). Dies sind immer vertrauliche Inhalte, die „Fremde“ nichts angehen. (Ausnahme: der Ex ist Thema durch Kontaktaufnahme, Stalking o.ä., dann kann eine Erklärung bzw. Aufklärung notwendig sein). Grundsätzlich sollte alles gesagt werden, was einen positiven Einfluss hat, die Beziehung bereichert und das Verständnis erleichtert. Themen, die irrelevant und nicht zielführend sind, sollten einfach dort bleiben, wo sie hingehören. In die Vergangenheit. Sexuelle Vorlieben oder Erlebnisse mit dem Ex-Partner sollten wertfrei aus der Ich-Perspektive geschildert werden. Urlaubserinnerungen, gemeinsame Aktivitäten, Vorlieben des Ex-Partners, Fotos, Souvenirs haben in der neuen Beziehung nichts zu suchen. Solltest du das Bedürfnis haben, alte Fotos oder Erinnerungsstücke aufzubewahren, packe sie in eine Schachtel und lass sie bei dir. Wenn du das Bedürfnis hast, sie allen zu zeigen, bist du noch nicht fertig und nicht bereit für eine neue Beziehung. Solltest du oder dein Ex-Partner untreu gewesen sein, eine Affäre gehabt haben, behalte diese Information für dich. Was möchtest du deinem neuen Partner sagen? Dass du zur Untreue bereit bist? Dass du bereit bist zu verletzen? Dass du vielleicht ein geringes Selbstwertgefühl hast, das du nach außen hin aufpolieren musst? Vielleicht sind das alles Informationen, die nicht unbedingt für Heiterkeit sorgen. Lass deinen Partner dich so kennen lernen, wie du jetzt bist, und nicht so, wie du warst.
Man muss sich immer bewusst sein, dass man sich angreifbar macht und Informationen aus seinem Inneren preisgibt, die sehr bewegt haben oder es noch tun. Je mehr man voneinander weiß, desto mehr „Angriffsfläche“ kann es geben. Wenn alte Wunden noch nicht verheilt sind, können sie in Konfliktsituationen wieder aufbrechen. Das kann uns passieren oder wir interpretieren es bei dem anderen so, wie es uns passt. “Jetzt weißt du, warum dein Ex dich betrogen hat“. “Wenn du vorher auch Probleme hattest, kann es nicht an mir liegen.“ Wer weiß, warum deine Eltern dich so früh rausgeworfen haben“. Zugegeben, das ist nicht nett, das ist nicht fair. Aber das kann passieren, wenn einer oder beide zu schnell Dinge ausplaudern, ohne zu wissen, wie emotional stabil und reflektiert der andere ist.

the time is now
Viel wichtiger als das, was in der Vergangenheit war, ist das, was in der Gegenwart ist und was in der Zukunft sein wird. Das bedeutet, dass wir zurückblicken können, um zu lernen. Wir können darüber nachdenken, was gut war und was nicht. Wir können darüber nachdenken, was uns geholfen hat und was uns geschadet hat. Wenn das alles geschehen ist, sollten wir das Buch schließen und ein neues aufschlagen. Solange wir im alten Buch blättern, können wir uns nicht auf das neue konzentrieren.
Themen, die zeitig relevant sein können
- traumatische Erfahrungen in der Kindheit oder vergangenen Beziehungen, Verlust von Elternteilen, Gewalt, Unfälle, bedeutsame Erkrankungen, Therapien
- Spezielle Fantasien, Neigungen, beeinflussende Pläne oder Träume, die unerfüllt blieben
- gravierende juristische Angelegenheiten wie Verhaftung, Haftstrafen, Bewährungsstrafen, psychiatrische Aufenthalte
- zu pflegende Angehörige, Vormundschaften, Pflegschaften, ehrenamtliche Tätigkeiten
Themen, die gar nicht oder erst viel später relevant sein können
- Informationen rund um den Ex Partner (Lieblingsessen, Farbe, Band, Familienverhältnisse, Erkrankungen..)
- Emotionen die im Bezug auf den Ex Partner bestehen (ich habe ihn/sie sehr geliebt… sie/er war mir sehr wichtig)
- Pläne, die man mit Ex Partnern hatte (es gilt neue Pläne zu schmieden)
- Insgesamt sollte nicht das komplette Leben ausgebreitet werden
- NIEMALS vergleichen – jeder ist anders und das ist auch gut so! Es hat seinen Grund, dass es Ex Partner geworden sind
- bereits abgeleistete Altlasten (Kredite, Disponutzung) = dein Gegenüber zieht möglicherweise falsche Schlüsse, ohne Zusammenhänge zu kennen
Die Vergangenheit sollte nicht größer als die Zukunft sein!
Dein Coach Nadja